Liebe Mitglieder,
„Amnesty International ist die größte Menschenrechtsbewegung der Welt, und wenn es jemals eine Zeit gab, in der eine Menschenrechtsorganisation wie die unsere ihre Stärke zeigen und mutig sein musste und muss, dann ist es jetzt.“ Das sind die Worte unserer Kollegin Nadja Daar, Chief Strategy and Impact Officer von Amnesty USA. Sie war am 28. April bei unserer Pressekonferenz zum Amnesty-Report 2024/25 zugeschaltet. Dabei schilderte sie in eindringlichen Worten, wie die Regierung Trump II Rechtsstaat und Menschenrechte attackiert, mit gezielten Angriffen auf Minderheiten, Medien, die Wissenschaftsfreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz. Außenpolitisch legt die US-Regierung die Axt an wichtige Institutionen, die zum Schutz der Menschenrechte geschaffen wurden, etwa den Internationalen Strafgerichtshof.
Diese Politik wirkt wie ein Brandbeschleuniger der globalen Menschenrechtskrise, die unser aktueller Jahresbericht dokumentiert:
Weltweit eskalieren bewaffnete Konflikte, Zivilist*innen sind der Gewalt schutzlos ausgeliefert und die internationale Gemeinschaft sieht oft tatenlos zu. In vielen Ländern gehen Regierungen brutal gegen Andersdenkende vor, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Mindestens 21 Staaten brachten 2024 Gesetze auf den Weg, die die Meinungs- und Pressefreiheit verletzen. Außerdem erfahren Frauen, queere Menschen, Geflüchtete und von Rassismus Betroffenen vielfach Diskriminierung und Gewalt.
Die Ursachen für die Menschenrechtskrise reichen tief: Sie liegen in der jahrelangen Missachtung von Völkerrecht und Menschenrechten, insbesondere in Doppelstandards mächtiger Staaten. Angetrieben wird sie auch durch die unregulierten Verbreitung von digitalen Technologien und künstlicher Intelligenz, die Diskriminierung, Überwachung und Manipulation durch Desinformation massiv Vorschub geleistet hat. Hinzu kommen wachsende soziale Ungleichheit und die Angst breiter Bevölkerungsschichten vor wirtschaftlichem Abstieg. Die sozialen und ökonomischen Rechte von Menschen werden täglich verletzt, durch Armut, Hunger und die Folgen der Klimakrise.
All dies hat den Nährboden bereitet, auf dem Politiker*innen mit autoritärer Agenda Zustimmung gewinnen, in den USA nicht anders als in Europa und vielen anderen Teilen der Welt. Wir sind Zeug*innen eines epochalen Bruchs: Menschenrechtsverletzungen werden kaum mehr schöngeredet, sondern offensiv gerechtfertigt. Nicht nur von Trump, Orban, Putin oder Weidel. Auch Politiker*innen von SPD und Union stellen Menschenrechtsverträge und -institutionen in Frage. Es droht das Ende der Regeln und Einrichtungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurden, um Frieden, Freiheit und die Würde aller Menschen auf der Welt zu sichern.
Doch die vielen negativen Nachrichten sollten nicht dazu führen, positive Entwicklungen aus dem Blick zu verlieren:
Weltweit protestieren Menschen gegen die Verbrechen von Armeen und bewaffneten Gruppen. Vor allem der Genozid an der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen trieb in den vergangenen Monaten Hunderttausende auf die Straße. In Südkorea kam es schnell zu Massenprotesten, als der südkoreanische Präsident im Dezember 2024 das Kriegsrecht verhängte und Grundrechte außer Kraft setzte. Die Nationalversammlung enthob ihn letztlich seines Amtes.
Thailand führte als erstes Land in Südostasien die Gleichstellung der Ehe für LGBTI+ ein. In Namibia hob der Oberste Gerichtshof das Gesetz auf, das einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen verbietet. Frankreich war das erste Land der Welt, das die Freiheit zum Schwangerschaftsabbruch in seine Verfassung aufnahm.
Die globale Menschenrechtskrise ist also nicht ungebrochen – die Idee der Menschenrechte hat weiterhin Strahlkraft. Die große Mehrheit der Menschen will keine Welt, in der Regierungen unkontrollierte Macht haben und das Recht des Stärkeren zählt. Das ist der Nährboden, auf dem eine menschengerechte Zukunft gedeihen kann.
Lasst uns auf dieser Jahresversammlung darüber sprechen, wie wir gemeinsam mit anderen den Widerstand gegen die autoritäre Welle organisieren können. Der Antrag PS-1 des Vorstandes und der Jugendvertretung bietet dafür wichtige Anstöße. Ich bin überzeugt: wir müssen mutig sein, neue Wege gehen, Allianz schmieden, präsent sein in der analogen und digitalen Öffentlichkeit.
Wir sind eine große und lebendige Organisation, die einen Unterschied machen kann in diesen schwierigen Zeiten. Lasst uns in Leipzig daran arbeiten.
In diesem Sinne: Herzlich Willkommen zur Jahresversammlung 2025!
Eure
Julia Duchrow
Generalsekretärin